E U R E - G E S E T Z E - G E G E N - M E I N E - F R E I H E I T


Ich bin ein Auslaufmodell. Menschlicher Restbestand. In einigen Jahren werde ich der Kompost sein, auf dem die neue Welt gedeiht.

Geboren am Harzrand, als Kind abgeschieden im Weserbergland in freier Natur aufwachsend zwischen Bergen und Wäldern. Das nächste Nachbarhaus weit unten im Tal. Meine eigene Holzhütte, keine hundert Meter vom Elternhaus entfernt, die ich mit zwölf Jahren bezog, lag da näher. 

Früh begann ich in der Bibliothek des Vaters zu stöbern und entdeckte die Welt des geschriebenen Wortes für mich. Es waren Bücher von Traven, Borchert, Remarque, Tucholsky, Hamsun, Steinbeck oder Hemingway, mit denen ich in die große Eiche kletterte, bei Regen in meine Hütte ging und las. Und las und las.

Auf meinem täglichen, fast einstündigen Fußweg zur Schule trank ich aus dem kühlen Bergbach, und das kleine Frühstück zwischendurch pflückte ich mir vom Wegesrand, von Sträuchern und Bäumen. Nach dem Unterricht ging ich an den Fluss zum Angeln. Ohne Angelschein mit einem Fahrtenmesser an der Seite. Undenkbar in heutiger Zeit für einen Jungen in kurzer Lederhose, alleine auf weiter Flur.

Es war ein gutes Leben. Für einen Jungen, der zum Jugendlichen reifte. Konnte es ein besseres geben? Damals kam mir dieser Gedanke nicht. Ich lebte den Tag im Wandel der Jahreszeiten und konnte die Schulferien nicht abwarten, die ich von früh bis spät in freier Natur verbrachte. In der einen Hand immer ein neues Buch, in der anderen, hatte ich Anglerglück, einen nassen Fisch, und vor mir ein kleines Feuer, das niemanden interessierte. Entfernt von der Stadt, des Lärms und ihrer Hektik. Fernab der Menschen. So wunderbar.

Nach der Schule und den verlorenen Jahren in den Städten lebe ich nun seit fast zwei Jahrzehnten wieder auf dem Land. Entfernt von der Stadt. Doch haben mich Lärm, Hektik und die Menschen inzwischen auch hier erreicht. Das Leben an sich ist auch hier schon länger kein freies. Ein gutes, wunderbares, das lang nicht mehr.

Das Dasein wird einem Auslaufmodell wie mir, Restbestand aus vergangener Zeit, Jahr für Jahr schwerer gemacht. Es macht den Anschein, als ob ein freies Leben, naturbelassen und selbstbestimmt, nicht erwünscht ist. Gar Interessen gefährlich erscheint. Ein paar Erklärungen, warum ich dies denke, die sollten sein:

1) Im Keller haben wir eine Waschküche. Diese wurde früher unter anderen auch für Hausschlachtungen genutzt. Dazu wurde ein großer, eiserner Waschkessel verwendet, der mit Holz angefeuert wurde. Der Kessel wurde vor ein paar Jahren verboten. Ich musste auf behördliche Anordnung den Waschkessel ausbauen und den Zugang zum Schornstein zumauern. Dafür wurde eine Frist gesetzt. Nach Ablauf der Frist wurde kontrolliert, ob ich der Anordnung nachkam.

2) Wir heizen im Haus mit Holz. In beiden Stockwerken steht ein Ofen. Küche, Badezimmer, Flur und Schlafzimmer bleiben im Winter unbeheizt. Man gewöhnt sich daran, insbesondere wenn man so aufwuchs und es nicht anders kennt. In der Stube steht ein Specksteinofen. Es ist ein guter Ofen. Nie machte er uns Probleme. Doch wir dürfen ihn nicht länger betreiben, da die politische Gesetzgebung überzeugt ist, er trage Mitschuld an einer Klimaerwärmung. Ich wurde aufgefordert, den Ofen zu entsorgen. Darf ihn nicht mehr anfeuern. Würde ich ihn bis zum 1. Oktober nicht entsorgen oder einen neuen Ofen kaufen, der neuen Gesetzen entspricht, so müsste ich den Schornsteinzugang zumauern. Ein neuer Ofen ist derzeit nicht finanzierbar. Dass wir, um die Welt zu retten, den kommenden Winter im Kalten verbringen müssten, das interessiert die Verantwortlichen nicht. 

3) Wir haben einen großen Garten mit Obstbäumen, Kräutern, Beeren, selbst angebautem Gemüse und Kleintieren. Vor wenigen Jahren noch kochten wir einen Teil der Ernte ein oder schlachteten selbst. Seitdem Hausschlachtung und Heizkessel verboten sind, nicht mehr. Wie auch immer. Im Garten sammeln sich Gestrüpp, Zweige und Holzreste an. Früher haben wir diese verbrennen dürfen. Das dürfen wir nicht mehr. Das Verbrennen von Gartenabfällen, überhaupt Feuermachen, ist heute verboten. Verantwortlich dafür: Städter, die in umliegende Dörfer zogen und Mehrheiten bildeten, um neue Verordnungen durchzusetzen. Hinzugezogene Städter fühlen sich aber nicht alleine durch Rauchentwicklung gestört. Auf ihrer „Muss-weg-Liste“ stehen auch morgens krähende Hähne, Gänsegeschnatter, bellende Hofhunde, häuslich betriebene Kreis- und Kettensägen oder das traditionelle Osterfeuer. 

Immer weniger darf man. Immer weniger ist erlaubt. Verbot soll sein, das neue Gesetz. 

Verboten insbesondere die Mittel und Errungenschaften, die Menschen in einem Krisenfall das Überleben ermöglichen könnten. Noch ist das Wissen darüber geduldet, bis wohl auch dieses, peu à peu, durch das technologisch-ideologische System letztendlich einkassiert wird. 

Erlaubt ist jedoch, was dem System nicht in die Quere kommt. Es nicht in seinem Lauf behindert, gar angreift. Ich darf einmal im Jahr mein Geschlecht ändern, aber ohne Angelschein, der Geld kostet, keinen Fisch aus dem Wasser holen, um mich autark ernähren zu können. Ich darf vom System „entmenschlichte“ Personen öffentlich und ohne Konsequenzen, „NAZI-Schlampe“ nennen, muss aber mit morgendlichem Besuch rechnen, wenn ich einen Erfüllungsgehilfen dieses Systems öffentlich Dummkopf nenne. 

Was übrigens das Recht auf Selbstschutz angeht, so hat ein in Deutschland „schon länger lebender“ schlechte Karten. Seine Bürger sind entwaffnet worden. Zur Gegenwehr kaum in der Lage. Unlängst, hier trifft es speziell Frauen, wurde ihnen noch der Einsatz von Tränengas zum Selbstschutz verboten. Das neueste Waffengesetz verbietet selbst Luftgewehre mit F-Kennzeichnung. Sogar körperlich aufbauendes Wandern in freier Natur soll Menschen heute schon rechtsverdächtig machen. Und wir haben es gut verinnerlicht, können aus dem Schlaf gerissen sofort ausrufen: „Rechts ist böse, das Übel dieser Welt, was es zu bekämpfen gilt.“

In einem Land, in dem das Wandern als rechtsextreme Auffälligkeit gedeutet wird, sollte es nicht verwundern, wenn der Eigenanbau von Nahrung, die Haltung von Kleintieren, das Wissen um Heilkräuter zum Extremisten macht. Ergo, einem „Systemgegner“. 

Als ein solcher blicke ich heute im Garten in mehreren Himmelsrichtungen auf Windparks. Vor wenigen Jahren noch hatte ich hier freie Sicht auf unverbaute Natur. Konnte freies Feld zwischen Elm und Asse bis zum Brocken schauen. Wie schnell sich der Blick ändern kann. Der neueste, im Bau befindende Windpark, wird aus neunzehn der ganz großen Dinger bestehen. Das dem Garten am nächsten stehende Windrad wird bald, keine zwei Kilometer entfernt, vor meinen Augen rotieren. Noch drehen sich die gewaltigen Rotorblätter dieses neuen „Parks“ nicht im kalten Wind. Doch auf mehr als hundert sich drehende Windräder der stehenden blicke ich schon heute. In der Dunkelheit macht es kaum Sinn, in den Sternenhimmel zu schauen. Wegen all der vielen Blinklichter, die den Blick verändern. 

Was wohl eine russische Kampfdrohne kosten mag? Scherz. Ich mache nur Spaß. 

Kein Spaß für mich ist der zwei Kilometer Luftlinie vom Garten entfernte ASSE-Schacht. Oder Schacht Konrad, keine 15 Kilometer Luftlinie entfernt, und das Endlager Gorleben im Wendland. Auch nicht aus der Welt. Ach, fast vergessen: der keinen Kilometer entfernte, neu errichtete 5G-Sendeturm. Dies zum Thema, Sünden des technologischen Systems, die niemanden etwas angehen.

Jetzt mag der ein oder die andere sagen: Wer keinen Atommüll vor der Nase mag, sollte sich nicht über Windenergie ärgern. Nun, ich habe beides und mehr vor der Haustür. Atommüll, Windenergie und 5G‑Strahlung. Drei Gründe, eigentlich seinen Wohnort zu wechseln. Das will ich aber nicht. Diese Gegend, in der ich lebe, sie ist meine Heimat. Hier wurde ich geboren, hier möchte ich sterben. 

Nun denn. Alles hat seine Zeit. Die vergangene war eine, in der ich gerne lebte. Eine vergehende Epoche, in der ich überleben konnte. Auch ohne Strom und fließend Wasser im Haus. Sommer wie Winter. Mit dem alten Heizkessel im Keller. Den beiden Holzöfen im Haus. Unserem Garten und den Tieren. Ich kann gut und gerne auf das technologische System verzichten. Verzichte ich doch auch gerne auf ein Smartphone und schaue kein öffentlich-rechtliches Fernsehprogramm. Lebe lieber im Gestern.

Das Morgen wird für den neuen Menschen sein. Dieser wird womöglich mit Himmelsrichtungen, vier Jahreszeiten, Gartenanbau und Ernte, Natur und Tieren, selbst Büchern wenig anzufangen wissen. 

Wird der kommende Mensch, im Frühling oder Herbst, Kopf und Nase im Wind, fallende, bunte Blätter betrachtend, der Natur gewahr, vom Wunder der Schöpfung ergriffen, noch Tränen ob dieser Glückserfahrung in seinen Augen haben? Ich hoffe es. Sehr

Die Hoffnung bleibt. Für die älteren, den noch erdverbundenen Menschen unter uns und für alle, die da nach uns kommen werden. Menschen, die in einer Welt überleben werden müssen, in der das technologische System die völlige Kontrolle besitzt. Einer neuen Welt, in der es keinen ruhigen Rückzugsort geben wird. Geben darf. Kein Meter Erde mehr, an dem ein Mensch von technischen Errungenschaften unbehelligt bleiben wird. 

Am Schluss stelle ich mir vor, wie ich im Jahr 1975 war. Ein Frechdachs in kurzer Lederhose und langem Fahrtenmesser an der Seite. Einen Apfel kauend, mit Buch und Angel unter dem Arm, in einen Zug einsteigend, um dann, so wie ich damals aussah, dachte und fühlte, auf einem X-beliebigen, deutschen Großstadtbahnhof im Jahr 2035 auszusteigen. Oh je.

Text und Foto: Torsten Kandziora 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 



 


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